Kurt Schelter

Die Sozialhilfe in der Entwicklung des Sozialrechts*

Wie unsere gesamte Sozialrechtsordnung, so ist auch die Sozialhilfe in ihrer heutigen Ausgestaltung das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung: Bis in das Mittelalter hinein galten als Staatsaufgabe im Bereich der sozialen Sicherung lediglich die Versorgung der Veteranen und Invaliden, die Entschädigung der Opfer von Naturereignissen und die individuelle Armenfürsorge. Diese Aufgabe hatten die Lehensherren, die örtliche Gemeinschaft, die Kirchen und die Familien zu erfüllen.


Um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit ist eine veränderte Einstellung zum Problem der Armut zu verzeichnen, die sich auch rasch institutionell niederschlägt: Hatten sich bis zum Ende des 16. Jahrhunderts vor allem die Klöster, Pfarrkirchen, Spitäler, Zünfte und Bruderschaften um die Fürsorge für die Armen angenommen, so entwickelte sich nach der Jahrhundertwende ein Fürsorgewesen, das in wesentlichen Strukturmerkmalen bereits der Sozialhilfe moderner Prägung gleicht. Träger dieser Armenfürsorge waren die Städte. Sie betrachteten diese Aufgabe weniger als selbstverständlichen Dienst am hilfsbedürftigen Nächsten, denn als Herausforderung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Dieser neuen Sicht lag die bewusste Abkehr von der christlich motivierten Idealisierung der Armut und die Einschätzung der Hilfsbedürftigen als eine Bevölkerungsschicht zugrunde, die den sozialen Frieden gefährdet.


Die Städte versuchten, dieser Aufgabe durch hoheitliche Maßnahmen gerecht zu werden: Bereits 1370 war z. B. in Nürnberg eine Bettelordnung aufgestellt worden. Die Armenordnung der Stadt Nürnberg von 1522 knüpfte an die schon damals ausgesprochene Verurteilung der Bettelei an, machte die Höhe der Fürsorge von den Ursachen der Armut abhängig und führte eine Prüfung der Bedürftigkeit an. Der Gedanke der Hilfe zur Selbsthilfe war schon damals angelegt. Mit der „Ordnung und Reformation guter Policey“, die von Kaiser Karl V. im Jahr 1530 erlassen worden war, wurde den Städten die Armenfürsorge als Pflichtaufgabe zugewiesen. Dieser ersten Polizeiordnung folgten bald weitere – ein unzureichender, verzweifelter Versuch, der Not des Dreißigjährigen Krieges Herr zu werden. Mit dem Heimatortprinzip wurde versucht, das Abschieben der Armen von einer Stadt zur anderen zu verhindern.


Im 17. und 18. Jahrhundert stellte das starke Anwachsen der Armenbevölkerung die Städte vor nahezu unlösbare Aufgaben. Sie versuchten, die Probleme mit weiteren Bettelordnungen in den Griff zu bekommen und die Almosenempfänger durch die Verpflichtung zur Arbeit an der Bestreitung ihres Lebensunterhalts zu beteiligen. In den zu diesem Zweck nach niederländischem Vorbild eingerichteten Arbeitshäusern (z. B. Bremen 1605, Lübeck 1613 und Hamburg 1620) wurde die Arbeit als Erziehungs- und Zuchtmittel eingesetzt.


Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahm sich der Staat in immer stärkerem Maß der Armenfüsorge an. Der staatlichen Gemeinschaft wurde die Aufgabe übertragen, “für die Ernährung und Verpflegung derjenigen Bürger zu sorgen, die sich ihren Unterhalt nicht selbst verschaffen und denselben auch von anderen Privatpersonen, welche nach besonderen Gesetzen dazu verpflichtet sind, nicht erhalten können.”


Diese Vorschrift des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794 (§ 1 Teil II Titel 19) zeigt beispielhaft, dass der Staat nun die Armenfürsorge als seine Aufgabe akzeptiert hatte. Wesentliche Elemente des modernen Sozialhilferechts waren bereits damals angelegt: So z. B. die Hilfe zur Arbeit, sowie das Amtsprinzip. Zur Finanzierung der Armenfürsorge wurden Armensteuern eingeführt.


Sozialpolitik als eine umfassende öffentliche Aufgabe nahm erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gestalt an – eine Antwort des Staates auf die Herausforderungen des Industriezeitalters. Die industrielle Revolution brachte tiefgreifende Veränderungen der Sozialstruktur mit sich: Landarbeiter und Handwerker strömten in die rapide wachsenden Industriestädte. Eine neue soziale Schicht entstand – freie Bürger, aber noch ohne ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit, das die feudalistische Ordnung, die ländliche Großfamilie und die Zünfte der Handwerker garantiert hatten.


Die neue Abhängigkeit von meist anonymen Arbeitgebern, den Kapitalgesellschaften, war zunächst mit keiner sozialen Absicherung verbunden, brachte für die Arbeitnehmer aber neue materielle und immaterielle Risiken mit sich: Verlust des Arbeitsplatzes, Unfall, Krankheit und Invalidität stellten den Arbeiter in der Regel vor die Existenzfrage.


Der Gedanke an eine staatliche Intervention war dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts zunächst fremd. Die soziale Sicherung dieser neuen Gesellschaftsschicht blieb deshalb zunächst der unzulänglichen Selbsthilfe der Betroffenen durch genossenschaftlich organisierte Hilfs- und Darlehenskassen und dem caritativen Engagement der Kirchen überlassen. Im Jahr 1846 waren erst 4,4% der Bevölkerung des deutschen Zollvereins Industriearbeiter. Der Staat stufte deshalb das Elend der Industriearbeiter zunächst als das Problem der Armut einer Minderheit ein und verwies die Betroffenen an die Arbeitgeber. Diese stellten sich ihrer neuen sozialen Verantwortung aus höchst unterschiedlichen Motiven:


Christliches Gewissen, humanistische Gesinnung, Angst vor Radikalisierung, Versuch einer Immunisierung der Arbeiterschaft gegen gewerkschaftliche und sozialistische Einflüsse, Versuche der Disziplinierung und Erziehung der Arbeitenden und Leistungsanreiz. So sind Idealismus, Angst und wirtschaftliche Interessen, Altruismus und Egoismus, gleichermaßen nachzuweisen.


Aus welchen Gründen auch immer – noch vor dem Staat nahmen sich einige der großen Industrieunternehmer der sozialen Sicherung ihrer Arbeitnehmer an. Dabei stand zunächst die Absicherung gegen die Risiken Alter und Krankheit im Vordergrund: So führten eine betriebliche Altersversorgung ein die Gutehoffnungshütte (1850), die Firmen Krupp und Hentschel (1858), Siemens(1867), BASF (1879) und Höchst (1882). Bereits im Jahr 1866 hatte die Firma BASF eine werksärztliche Versorgung eingerichtet.


Diese Anfänge betrieblicher Sozialpolitik wurden nicht ohne Misstrauen betrachtet: So hielt der “Vorwärts” im Jahr 1891 den “Schlot-Baronen” vor, dass sie mit Maßnahmen “zum Wohle des Arbeiters wohl schwerlich lediglich einem Zuge eines menschen- und arbeiterfreundlichen Herzens folgen, sondern zweifellos eigennützige Zwecke die Triebfeder sind, die unter der Maske des Arbeiterwohls sorgsam verborgen werden.”


Die staatliche Sozialpolitik beschränkte sich vor der Reichsgründung auf Einzelmaßnahmen (z. B. das Preußische Kinderschutzgesetz von 1839, das Gesetz betreffend die gewerblichen Unterstützungskassen und das Gesetz betreffend die Vereinigung der Berg-, Hütten- und Salinenarbeiter in Knappschaften von 1854). Eine umfassende Regelung der Armenfürsorge durch den Gesetzgeber wurde zunächst nicht für notwendig gehalten. Die neuen sozialen Herausforderungen wurden von fortschrittlichen Magistraten erkannt und angenommen. Neue Konzepte der Armenfürsorge, wie z. B. das “Elberfelder System” aus dem Jahr 1851, legten den Grundstein für die moderne Sozialhilfe: Der Grundsatz der vorbeugenden Hilfe und das Prinzip der Individualisierung sind schon in diesem Modell angelegt. Erst mit dem Rahmengesetz des Norddeutschen Bundes über den Unterstützungswohnsitz von 1870 wurden die Weichen für ein wirksames Fürsorgesystem gestellt.


Anlass für den Aufbau eines geschlossenen Systems sozialer Sicherung war letztlich das von Bismarck durchgesetzte „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, das sogenannte „Sozialistengesetz“ vom 21. 10. 1878. Gerade dieses bis zum Jahr 1890 gültige Gesetz, das die gewerkschaftliche Organisation und „sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische“ Betätigungen verbot, nahm Bismarck zum Anlass, den Bürgern, insbesondere den Arbeitern, die heilende Staatsmacht zu demonstrieren. Durch die Einführung einer Sozialversicherung sollte v. a. die Arbeiterschaft den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie entfremdet werden, indem sie von Staats wegen mehr soziale Sicherheit und mehr soziale Gerechtigkeit erfuhren.


Bismarck versah sein Vorhaben aber auch mit sozialen Argumenten: „Der Staat muss die Sache in die Hand nehmen. Nicht als Almosen, sondern als Recht auf Versorgung, wo der gute Wille zur Arbeit nicht mehr kann. Wozu soll nur der, welcher im Krieg oder als Beamter erwerbsunfähig geworden ist, Pension haben, und nicht auch der Soldat der Arbeit?“


Auch Kaiser Wilhelm I. scheute sich nicht, das eigentliche Motiv für das neue sozialpolitische Engagement des Staates offen darzulegen:


„Diese Heilung wird nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialistischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein. In dieser Beziehung steht die Fürsorge für die Erwerbsunfähigen unter ihnen in erste Linie … Die bisherigen Veranstaltungen, welche die Arbeiter vor der Gefahr sichern sollen, durch den Verlust ihrer Arbeitsfähigkeit infolge von Unfällen oder des Alters in eine hilflose Lage zu geraten, haben sich als unzureichend erwiesen, und diese Unzulänglichkeit hat nicht wenig dazu beigetragen, Angehörige dieser Berufsklasse dahin zu führen, dass sie in der Mitwirkung zu sozialdemokratischen Bestrebungen den Weg zu Abhilfe suchen“.


Als die „Geburtsstunde“ staatlicher Sozialpolitik in Deutschland gilt das Jahr 1881: In der „Kaiserlichen Botschaft“ vom 17. 11. 1881 verkündete Wilhelm I. die noch heute gültigen Grundzüge der Sozialversicherung. Danach sollten Arbeiter gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und im Alter versichert werden. Auf die Leistungen dieser Versicherung sollte den Arbeitern ein Rechtsanspruch zustehen. Die Versicherung sollte auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und Selbstverwaltung durch kooperative Genossenschaften unter staatlichem Schutz und staatlicher Förderung durchgeführt werden.


Bismarck hatte damit sein politisch-taktisches Ziel erreicht und gab dies in seiner Reichstagsrede vom 15. 3. 1984 auch offen zu:


„Bei der Einbringung des Sozialistengesetzes hat die Regierung … Versprechungen gegeben dahin, dass als Korrolär dieses Sozialistengesetzes die ernsthafte Bemühung für eine Besserung des Schicksals der Arbeiter Hand in Hand mit denselben gehen sollte. Das ist m. E. das Komplement für das Sozialistengesetz. Denn es ist eine Ungerechtigkeit auf der einen Seite, die Selbstverteidigung einer zahlreichen Klasse unserer Mitbürger zu verhindern, und auf der anderen Seite ihnen nicht die Hand entgegenzureichen zur Abhilfe desjenigen, was unzufrieden macht“.


Unabhängig von dieser politischen Zwecksetzung hatte Bismarck mit der Sozialgesetzgebung der Jahre 1883-1889 dem Deutschen Reich zu einer damals fortschrittlichen und international beispielgebenden Sozialgesetzgebung verholfen, deren Grundprinzipien bis heute fortwirken. Mit dieser Sozialgesetzgebung hatte sich der Staat endgültig seiner neuen sozialen Verantwortung in der Industriegesellschaft gestellt und Abschied genommen von einer bloßen „Nachtwächterfunktion“, wie sie noch das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten beschrieben hatte.


Die Aufgabe des Staates, auch für die Existenzsicherung seiner Bürger zu sorgen, wurde erst in der Weimarer Republik normativ gefasst. Mit der „Verordnung über die Fürsorgepflicht (RFV)“ vom 13. 2. 1924 (RGBl. I S. 100) und den „Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge“ (RGr.) vom 4. 12. 1924 (RGBl. I S. 765) wurde der Grundstein für die Entwicklung des heutigen Leistungssystems der Sozialhilfe gelegt. Mit diesen Bestimmungen wurde dem jahrzehntelangen Drängen der Kommunen und vor allem des im Jahr 1880 gegründeten „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge“ entsprochen, ein wirksames reichseinheitliches Fürsorgerecht zu schaffen. Die große Not wachsender Teile der Bevölkerung, eine Folge von Inflation, wirtschaftlichem Verfall und Massenarbeitslosigkeit, hatte die Dringlichkeit dieser Forderungen unterstützt.


Im Jahr 1924 wurde deshalb im Rahmen der 3. Steuernotverordnung, die auf dem 2. Ermächtigungsgesetz vom 8. 12. 1923 (RGBl. I S. 1179) basierte, zunächst die Wohlfahrtspflege vom Reich auf die Länder übertragen. Durch die (Not-)Verordnung über die Fürsorgepflicht (RFV) vom 13. 2. 1924 (RGBl I S. 100) wurden u. a. als Träger der Fürsorge Landesund Bezirksfürsorgeverbände bestimmt (§§ 1–6), die Zuständigkeit der Träger nach dem gewöhnlichen Aufenthalt geregelt (§§ 7–15) und Vorschriften über den Kostenersatz zwischen den Trägern sowie die Mitwirkungspflicht des Hilfsbedürftigen und Dritter erlassen (§§ 19– 26).


Aufgrund der Ermächtigung des § 6 Abs. 2 in Verb. mit § 32 Abs. 2 RFV wurden am 4. 12. 1924 “Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge” (RGr.) erlassen, die am 1. 1. 1925 in Kraft traten (RGBl. I S. 765). Mit diesen Grundsätzen wurde die öffentliche Fürsorge endgültig als eine der tragenden Säulen der sozialen Sicherung, neben Sozialversicherung und Versorgung, anerkannt. Der lediglich reaktive und mitunter auch repressive Trend der überkommenen Armenpflege wurde abgelöst durch ein aus damaliger Sicht fortschrittliches Fürsorgerecht, das bereits im Wesentlichen auf Grundsätzen aufbaute, die auch das geltende Sozialhilferecht prägen:


Die Fürsorge sollte z. B. den notwendigen Lebensbedarf des Hilfsbedürftigen decken, dabei die Eigenart der Notlage berücksichtigen und den Hilfsbedürftigen in den Stand setzen, sich und seinen unterhaltsberechtigten Angehörigen den Lebensbedarf selbst zu beschaffen (§ 1). Die Hilfe sollte rechtzeitig einsetzen und war von keinem Antrag abhängig. Sie sollte der Notlage nachhaltig entgegenwirken und dauernde Hilfsbedürftigkeit zu verhüten suchen (§ 2). Die Grundsätze sahen bereits vorbeugende Hilfen, besonders zur Erhaltung der Gesundheit und der Arbeitskraft vor (§ 3) und verpflichteten den Hilfeempfänger, seine Arbeitskraft sowie in bestimmtem Umfang Einkommen und Vermögen zur Beschaffung seines Lebensunterhalts einzusetzen (§§ 7 und 8). Als Hilfearten wurden Geld- und Sachleistungen sowie persönliche Hilfen in offenen oder geschlossenen Einrichtungen vorgesehen.


Die Fürsorgegrundsätze enthielten neben den allgemeinen Vorschriften über die Fürsorge (§§ 1-13) besondere Bestimmungen für Kleinrentner, Sozialrentner, Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene (§§ 14-32). Diese in Voraussetzungen und Leistungen verbesserte Fürsorge für besondere Personengruppen enthielt Strukturmerkmale, die mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil unseres modernen Sozialhilferechts sind: z. B. der Schutz “kleinerer Vermögen”, “eines angemessenen Hausrats” oder eines “kleinen Hausgrundstücks” (§ 15).


Die in der Weimarer Republik erlassenen Fürsorgegrundsätze blieben bis zum Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes die Basis für die öffentliche Fürsorge. Diese Vorschriften galten im Wesentlichen auch während der Zeit des Nationalsozialismus, unterlagen damals aber einer geradezu grotesken Interpretation, die ihrem Inhalt teilweise ins Gegenteil verkehrte. Auch das Fürsorgerecht wurde in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie gestellt, mit ihrem Rassenwahn, ihren eugenischen Verirrungen und einer kollektivistischen Grundtendenz, die das bewährte Prinzip der Individualisierung zu einer bloßen Leerformel denaturierte und den Hilfsbedürftigen zum Objekt degradierte.


Während dieser Zeit führte, der einst von Deutschland ausgehende Gedanke der sozialen Sicherung, vor allem in den anglo-amerikanischen Ländern zu wichtigen Fortschritten in der Sozialpolitik:


Im Jahr 1935 erließ der amerikanische Präsident Roosevelt in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise den “Social-Security Act”, der eine Alters-, Hinterbliebenen-, Invaliden- und Arbeitslosenversicherung einführte. Dieses Gesetz lieferte jedenfalls mit seinem Titel “Soziale Sicherheit” eine international zündende Parole und einen für unsere Zeit selbstverständlichen Begriff.


Neue Perspektiven öffnete der neuseeländische „Social-Security Act“ des Jahres 1938, der einen öffentlichen Gesundheitsdienst und eine bescheidene Altersrente für jedermann einführte. Darüber hinaus sah er einkommensabhängige Sozialleistungen im Fall von Krankheit, Arbeitslosigkeit und besonderen Notlagen vor.


In England wurde 1942 im Beveridge-Report, dem Bericht einer staatlichen Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des Ökonomen Beveridge, vorgeschlagen, die heterogenen und lückenhaften Regelungen durch ein einheitliches und umfassendes System sozialer Sicherung zu ersetzen. So sollte durch eine Volksversicherung die gesamte Bevölkerung gegen alle klassischen sozialen Risiken geschützt werden, durch einen staatlichen Gesundheitsdienst jedermann eine angemessene medizinische Versorgung erhalten und durch subsidiär eingreifende Sozialhilfe jedem Bürger zumindest das Existenzminimum garantiert werden.


Mit der „Atlantik-Charta“, einer gemeinsamen Erklärung des amerikanischen Präsidenten Roosevelt und des britischen Premierministers Churchill vom 14. 8. 1941, hat der Gedanke der sozialen Sicherheit wohl erstmals auch auf übernationaler Ebene Anerkennung gefunden. In dieser Erklärung wurde u. a. die „Freiheit von Not“ gefordert sowie die wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Nationen beschworen, um „allen die besten Arbeitsbedingungen, wirtschaftlichen Fortschritt und soziale Sicherheit zu gewährleisten.“


Die Entwicklung des Sozialrechts in der Bundesrepublik nach Kriegsende war wesentlich beeinflusst von der Verabschiedung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948, die neben den klassischen Freiheitsrechten ausdrücklich auch ein Recht auf soziale Sicherheit (Art. 22) und auf angemessene Lebenshaltung, Mütter- und Kinderschutz anerkannt hat (Art. 25). Der Verfassungsgeber hat dem durch die Aufnahme des Sozialstaatsprinzips in das Grundgesetz Rechnung getragen.


Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes war es zunächst den oberen Verwaltungsgerichten überlassen, die vorkonstitutionellen Fürsorgegrundsätze verfassungskonform zu interpretieren. Das wichtigste Ergebnis dieser Rechtsfortbildung war die Anerkennung eines Rechtsanspruchs auf Fürsorge, den der Bayer. Verwaltungsgerichtshof als erstes Instanzgericht bereits im Jahr 1949 anerkannt hatte (VGH n. F. Bd. 2, 14 ff.). Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Rechtsauffassung in seiner Grundsatzentscheidung vom 24. 6. 1954 (BVerwGE 1, 159, 162).


Dieser Rechtsanspruch auf Fürsorge fand aber noch keine Aufnahme in das Gesetz über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen (FÄG) vom 20. 8. 1953 (BGBl. I S. 967). Das FÄG brachte u. a. die Abschaffung der verbesserten Fürsorge für besondere Personengruppen (§ 14 ff. RGr.) und die Übertragung der für diese geltenden Vorschriften über den Einsatz von Eigentum und Vermögen auf alle Hilfsbedürftigen (Art. XI Abs. 2 Buchst. 6, Art. V § 8 a FÄG). Dieser unzureichende Versuch einer Teilreform konnte eine weitgehende Neugestaltung des Fürsorgerechts nicht ersetzen.


Die Entwicklung der Sozialpolitik und des Sozialrechts in den ersten Jahren nach dem Ende des 2. Weltkriegs war zunächst bestimmt von der Notwendigkeit, die Kriegsfolgen zu bewältigen: Die Kriegsopfer und ihre Hinterbliebenen mussten versorgt, Kriegsheimkehrer integriert, Heimatvertriebene eingegliedert und entschädigt werden. Außerdem führte die Wirkungskraft, die das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes zu entwickeln begann, zu einer raschen Ausdifferenzierung der Sozialordnung: Sozialer Wohnungsbau, Mutterschutz, Kindergeld, Krankenversicherung der Rentner, Jugendarbeitsschutz, Lohnfortzahlung, agrarsoziale Sicherung und Rentenreform waren einige der wichtigsten Materien, mit denen sich der Gesetzgeber auf sozialpolitischem Gebiet in den Jahren von 1950 bis 1960 befasste.


Die Überlegungen zu einer Neuordnung des Fürsorgerechts gingen davon aus, dass die bisherigen, mit Hilfe der Rechtsprechung an die neue Verfassungslage angepassten und durch eine Reihe von Änderungen den veränderten sozialen Verhältnissen angeglichenen Vorschriften im Ganzen gesehen den Anforderungen einer modernen Sozialarbeit nicht mehr gerecht werden konnten. Die Fachgremien und die Praxis der Fürsorge forderten deshalb dringend eine gesetzliche Neuregelung. Der Bundestag hatte sich bereits bei den Beratungen über die Rentenreform dafür ausgesprochen, im Rahmen der Sozialleistungsreform auch das Fürsorgerecht zu novellieren.


Die Grundkonzeption des Gesetzes war in den Beratungen kaum umstritten: Es sollte eine Kodifikation des Sozialhilferechts mit weitgehender Sachreform auf der Basis des bewährten Fürsorgerechts entstehen.


Der Entwurf knüpfte v. a. in folgenden Regelungen am alten Fürsorgerecht an (s. dazu die amtl. Begründung BT-Drs. 3/ 1799 Abschnitt A.III):


Die besonderen Arten der Hilfe wurden vervollständigt (z. B. Krankenpflege, Hilfe für werdende Mütter, Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe für Behinderte) und unter der Bezeichnung „Hilfe in besonderen Lebenslagen (HbL)“ zusammengefasst.


Die Vorschriften über die vorbeugenden und die nachgehenden Hilfen (§ 6 BSHG) knüpften an die Kannbestimmung des § 3 RGr. und § 16 des Gesetzes über die Tuberkulosehilfe an.


Für das gesamte Gebiet der HbL wurden ein gegenüber §§ 5 und 8 RGr. erweiterter Begriff der Hilfsbedürftigkeit und zu diesem Zweck eine Einkommensgrenze eingeführt.


Die Verpflichtung zum Kostenersatz (§ 25 RFV) wurde auf den Fall eingeschränkt, dass der Hilfeempfänger die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat oder später zu erheblichem Einkommen oder Vermögen gelangt ist.


Die Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege und ihre Selbständigkeit wurden noch stärker betont, als dies bereits in § 5 RFV angelegt war.


Der Regierungsentwurf hat in den Ausschussberatungen und im Bundesrat einige Änderungen erfahren, die aber seine Grundkonzeption nicht in Frage stellten. Das Gesetz wurde am 30. 6. 1961 verkündet und ist am 1. 6. 1962 in Kraft getreten (BGBl. I S. 815, ber. S. 1875).

Die Sozialhilfe in der Entwicklung des Sozialrechts (Teil 2)

Der Sozialstaat in der Bewährung – Vom Inkrafttreten des BSHG bis zur Deutschen Einheit

Das Bundessozialhilfegesetz hat sich seinem Inkrafttreten im Jahr 1962 bis zum Ende der 70er Jahre zu einer wirksamen Basissicherung im demokratischen und sozialen Bundesstaat entwickelt.


In diesen zwei Jahrzehnten hatten die Änderungen des BSHG**, der guten wirtschaftlichen Entwicklung entsprechend, im wesentlichen Leistungs- und Strukturverbesserungen zum Inhalt: Es wurde mehr verteilt, weil es etwas zu verteilen gab - eine sozialpolitische Logik, die heute - zurecht - nicht mehr zu vermitteln wäre.


Das 3. Änderungsgesetz vom 25. 3. 1974 (BGBl. I S. 777) brachte z. B. Verbesserungen im Bereich der Ausbildungshilfe, der vorbeugenden Gesundheitshilfe, der Eingliederungshilfe für Behinderte, den Ausbau der Bestimmungen über die Hilfe für sozial Gefährdete, die Abschaffung der Zwangsunterbringung in Arbeitseinrichtungen und die laufende Anpassung von Festbeträgen an die Entwicklung der Regelsätze oder die Einkünfte der Arbeitnehmer.


Die zunehmende Verschlechterung der Lage der öffentlichen Haushalte zwang die Bundesregierung anfangs der 80er Jahre zu einschneidenden Sparmaßnahmen auch im sozialen Bereich. Diese, in der Geschichte der sozialen Sicherung nach 1945 neue Entwicklung musste letztlich auch die SH erfassen. Den dazu vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidungen hatte die Beantwortung der sozialpolitischen Grundsatzfrage vorauszugehen, ob das Niveau der Basissicherung für das ökonomische und soziokulturelle Minimum auch dann unverändert gewährleistet oder gar verbessert werden muss, wenn sich der Standard der übrigen Bereiche der sozialen Sicherung verschlechtert, oder ob auch die SH in Sparmaßnahmen einbezogen werden soll. Der Gesetzgeber hat sich im 2. Haushaltsstrukturgesetz letztlich dafür entschieden, auch den Empfängern von Sozialhilfe einen Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte abzuverlangen und eine Reihe struktureller Verschlechterungen beschlossen:


  • Die Regelsätze für die Jahre 1982 und 1983 sollten pauschal jeweils um 3% erhöht werden, unabhängig von der damals höheren Steigerung der Kosten des Lebensunterhalts (1982: 5,3%; 1983: 3,3%).
  • Eltern behinderter Kinder unter 21 Jahren sollten Aufwendungen für die Hilfe in Einrichtungen bis zur Höhe des gesamten Lebensunterhalts tragen. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 BSHG, der damals aufgehoben war, galt eine Begrenzung auf die Höhe der ersparten häuslichen Aufwendungen.
  • Ein Anspruch auf erhöhtes Taschengeld wurde Heimbewohnern erst dann eingeräumt, wenn der Hilfeempfänger die Heimkosten mindestens in Höhe des doppelten Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes selbst trägt. Die Höhe des zusätzlichen Barbetrags wurde von 20% auf 15% des Regelsatzes beschränkt (§ 22 Abs. 3 Satz 4 BSHG).
  • Der Vomhundertsatz der Mehrbedarfszuschläge für Personen über 65 Jahre, Schwerbehinderte, werdende Mütter und allein erziehende Elternteile wurde von 30% auf 20% des maßgebenden Regelsatzes herabgesetzt. Der Mehrbedarfsanspruch für werdende Mütter wurde auf die Zeit ab dem 6. Schwangerschaftsmonat beschränkt.
  • Die Krankenkostzulagen wurden aus der hinsichtlich des Einkommens- und Vermögenseinsatzes privilegierten Hilfe in besonderen Lebenslagen herausgenommen.
  • Die Ausbildungshilfe wurde als Hilfeart der Hilfe in besonderen Lebenslagen gestrichen (§§ 31 bis 35 BSHG).
  • Die Blindenhilfe wurde von der Entwicklung der Pflegezulage für Blinde nach dem Bundesversorgungsgesetz abgekoppelt. Die Leistungshöhe für die Jahre 1982 und 1983 wurde eingefroren. Die Voraussetzungen für Erholungshilfe im Rahmen der vorbeugenden Gesundheitshilfe wurden verschärft.
  • Die Leistungen im Rahmen der Hilfe zur (häuslichen) Pflege wurden abgebaut. Die Grenze des geschützten Einkommens bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen wurde abgesenkt.
  • Der Schutz von angespartem Vermögen, z. B. für Erwerb und Erhaltung eines Hausgrundstücks, wurde gestrichen (§ 88 Abs. 2 Nr. 2 BSHG).
  • Die Zumutbarkeitsanforderungen an den Einsatz der eigenen Arbeitskraft des Hilfesuchenden wurden in Anlehnung an § 103 AFG verschärft.
  • Für vorübergehende Notlagen wurde die Möglichkeit der Gewährung von Darlehen eingeführt (§ 15b BSHG).
  • Bei der Gewährung einmaliger Leistungen im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt wurde die Möglichkeit eingeführt, innerhalb eines Zeitraumes von bis zu sechs Monaten das Einkommen zu berücksichtigen (§ 21 Abs. 2 Satz 2 BSHG).
  • Der Anspruch von Auszubildenden auf Hilfe zum Lebensunterhalt wurde grundsätzlich beseitigt für den Fall, dass die Ausbildung im Rahmen des BAföG oder des AFG dem Grunde nach förderungsfähig ist.


Dieser Sparkurs wurde im Haushaltsbegleitgesetz 1983 (BGBl. I S. 1857) noch verschärft: Die ursprünglich vorgesehene Anhebung des Regelsatzes um 3% wurde auf 2% reduziert und auf den 1. 7. 1983 verschoben (§ 22 Abs. 4 BSHG in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983).


Die Einschränkungen im Bereich der Sozialhilfe wurden in Fachkreisen und von Betroffenen sowie deren Verbänden heftig kritisiert. Dies führte noch in der Phase der Haushaltskonsolidierung zu Korrekturen einiger Sparmaßnahmen, die von den Betroffenen als besonders hart empfunden worden waren:


Durch Art. II § 14 des Ergänzungsgesetzes zum SGB X vom 4. 11. 1982 (BGBl. I S. 1450) wurde nach Einschaltung des Vermittlungsausschusses auf Antrag Bayerns

  • die Gewährung eines Barbetrags zur persönlichen Verwendung für Heimbewohner, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, in Höhe von mindestens 30% des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes beschlossen (§ 21 Abs. 3 Satz 1 BSHG),
  • die Einschränkungen des 2. Haushaltsstrukturgesetzes beim erhöhten Taschengeld für Heimbewohner zurückgenommen (§ 21 Abs. 3 Satz 3 BSHG).
  • Für die Heimunterbringung behinderter Kinder wurde rückwirkend ab 1. 1. 1982 im wesentlichen der alte Rechtszustand wiederhergestellt (§ 43 Abs. 2 Satz 2 BSHG).
  • Das Blindengeld wurde nach einem Stufenplan bis zu höchstens 70% auf das Pflegegeld angerechnet.


Eine Trendwende in der Fortentwicklung des Sozialhilferechts wurde mit Art. 21 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. 12. 1983 (BGBl. I S. 1532) eingeleitet: Neben einigen strukturellen Verbesserungen und der noch stärkeren Betonung der ambulanten Hilfen durch die Einfügung des § 3a BSHG kehrte der Gesetzgeber vor allem zur Anpassung der Regelsätze nach Maßgabe der Lebenshaltungskosten zurück (§ 22 Abs. 4 BSHG). Die Abkoppelung der Sozialhilfeempfänger von der Preis- und Lohnentwicklung wurde damit beendet. Allerdings blieb es den Trägern der Sozialhilfe vorerst verwehrt, den Nachholbedarf auszugleichen, der sich durch die Deckelung der Regelsätze in den Jahren 1982 und 1983 entwickelt hatte. Dies wurde erst möglich durch die Anwendung des neuen „Warenkorbs“, der nach mehrjähriger Vorarbeit einer Expertenkommission und ausführlicher Diskussion in den Fachministerkonferenzen im Jahr 1985 verabschiedet wurde. Dieses neue Bedarfsmengenschema berücksichtigte die veränderten Verbrauchsgewohnheiten und war zu aktuellen Preisen bewertet. Die Regelsätze erhöhten sich dadurch bundesweit durchschnittlich um 5%.


Mit dem 4. Änderungsgesetz vom 21. 6. 1985 (BGBl. I S. 1081) wurden auf Antrag des Bundesrats (BTDrs. 10/3079) wesentliche strukturelle Verbesserungen beschlossen, die mit Wirkung vom 1. 7. 1985 in Kraft gesetzt worden sind und Mehrausgaben pro Jahr von annähernd 300 Mio. DM verursachten:

  • Die Übergangsvorschrift zur Anpassung der Regelsätze (§ 22 Abs. 4 BSHG) wurde aufgehoben. Dies hat zu einer Erhöhung der Regelsätze bundesweit um 8% geführt.
  • Für Alleinerziehende mit einem Kind unter 7 Jahren und für Hilfeempfänger ab dem 60. Lebensjahr wurden neue Mehrbedarfszuschläge in Höhe von 20% des maßgebenden Regelsatzes eingeführt (§ 23 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 2 BSHG). Bisher waren solche Zuschläge nur für Alleinerziehende mit zwei oder mehr Kindern unter 16 Jahren sowie Bedürftige ab dem 65. Lebensjahr vorgesehen.
  • Für die Empfänger von Hilfe in besonderen Lebenslagen wurden Festbeträge wieder eingeführt und gleichzeitig die Einkommensgrenze durchschnittlich um etwa 3% angehoben (§ 79 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 BSHG).


Das 5. Änderungsgesetz vom 28. 10. 1986 (BGBl. I S. 1657) brachte eine Erweiterung der Ausnahmeregelung des § 76 Abs. 1 BSHG mit der Folge, dass auch die Renten und Beihilfen für Schaden am Körper und Gesundheit und für Schaden am Leben nach dem Bundesentschädigungsgesetz bis zur Höhe vergleichbarer Grundrenten nach dem BVG nicht zum Einkommen i.S. des BSHG gehören.


Durch die Vorschriften des Art. 26 des 2. Rechtsbereinigungsgesetzes vom 16. 12. 1986 (BGBl. I S. 2441) sind vor allem die Bestimmungen über die Tuberkulosehilfe (§ 27 Abs. 1 Nr. 7, §§ 48–66, §§ 127–137 BSHG) außer Kraft gesetzt und die notwendigen Folgeänderungen vorgenommen worden. Zur Begründung hatte die Bundesregierung darauf hingewiesen, dass das Konzept der Tuberkulosehilfe auf dem wissenschaftlichen Erkennungsstand von 1955 beruhte. Inzwischen seien erhebliche Fortschritte in der Heilbehandlung erzielt worden, die der Tuberkulose den Charakter einer Volksseuche genommen haben. Die Zahl der Empfänger von Tuberkulosehilfe ist dementsprechend seit 1970 von 80000 auf 3600 im Jahr 1983 zurückgegangen, wobei 98% der Kosten auf die Heilbehandlung entfielen.


Den Empfehlungen des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge entsprechend, ist deshalb das BSHG von diesen Vorschriften entlastet worden. Dies hatte zur Folge, dass in Fällen der Tuberkuloseerkrankung und -gefährdung, wie bei anderen ansteckenden Krankheiten, die allgemeinen Vorschriften des BSHG über die vorbeugende Gesundheitshilfe, über die Krankenhilfe und ggf. über die Eingliederungshilfe für Behinderte angewandt werden. Hinsichtlich des allgemeinen Lebensunterhalts der Tuberkulosekranken blieb es dagegen bei der Mehrbedarfsregelung des § 23 Abs. 1 Nr. 4BSHG; für die Heilbehandlung bei Tuberkulose ist wie bisher die besondere Einkommensgrenze des § 81BSHG maßgebend.


Die neu gefasste Vorschrift des § 147a BSHG enthielt Übergangsregelungen für die Gewährung von Tuberkulosehilfe. Diese Hilfeart war längstens bis zum 31. 12. 1987 an diejenigen Personen weiterzugewähren, die am 31. 12. 1986 entsprechende Leistungen bezogen haben. Außerdem hatte das 2. Rechtsbereinigungsgesetz folgende wesentliche Änderungen gebracht:

  • In § 108 Abs. 1 BSHG wurde ein Satz 2 angefügt, der die Kostenerstattung zwischen örtlichem und überörtlichem Träger im Fall von Hilfen an Spätaussiedler und Zuwanderer aus der DDR regelte. In den Abs. 4 und 6 waren die notwendigen Folgeänderungen vorgenommen worden.
  • In § 116 Abs. 3 BSHG wurde der Wortlaut des nunmehr aufgehobenen § 64Abs. 3BSHG übernommen,derdieGrenzender Auskunftspflicht im Rahmen der Tuberkulosehilfe bestimmt hatte.


Die Sozialhilfe ist mit dem 4. Änderungsgesetz zunächst wieder in eine Zone positiver Fortentwicklung geführt worden. Unter dem immensen Kostendruck, den die Folgen der Wiedervereinigung Deutschlands und die Rezession der Volkswirtschaft mit sich gebracht haben, hat der Gesetzgeber aber auch im Bereich der Sozialhilfe zum Teil massive Sparmaßnahmen eingeleitet, an deren Anfang die Änderungen durch Art. 7 FKPG stehen.


Mit dem Gesetz zur Verlängerung des Versicherungsschutzes bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit vom 27. 6. 1987 (BGBl. I S. 1542) wurde dieser mit der 7. Novelle zum AFG eingeschlagene Weg fortgesetzt. Für Arbeitnehmer ab dem 42. Lebensjahr wurde die Anspruchsdauer in Abhängigkeit von der Dauer, der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung bis höchstens 832 Tage verlängert. Diese ordnungspolitisch richtige Regelung hat zu einer weiteren notwendigen Entlastung der Sozialhilfe-träger geführt.


Mit dem 9. Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. 12. 1988 (BGBl. I S. 2343) wurden allerdings insbesondere die Höchstförderungssätze bei der Eingliederungsbeihilfe und beim Einarbeitungszuschuss verringert und die Zuschüsse bei allgemeinen Arbeitsbeschaffungs-maßnahmen abgesenkt. Die Mittel für berufliche Fortbildung und Umschulung sollten stärker auf Arbeitslose konzentriert werden.


Die Erfüllung des sozialstaatlichen Auftrags des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 GG) ist mit der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. 10. 1990 ein großes Stück näher gerückt. Denn mit der Erstreckung des Bundessozialhilfegesetzes auch auf die neuen Länder zum 1. 1. 1991 durch den Einigungsvertrag galt nunmehr in ganz Deutschland diese bewährte Grundsicherung.

*Überarbeitete Fassung der Einführung des Verfassers zum Kommentar Oestreicher/Schelter/Kunz, Bundessozialhilfegesetz, erschienen im Verlag C. H. Beck. Die Veröffentlichung erfolgt mit Zustimmung des Verlages. S. auch Schelter, Annäherungen, Eurolaw-Verlag 2014, S. 84ff: www.kurt-schelter.eu


**Seit seiner Verabschiedung hat das BSHG-Änderungen erfahren durch:

  • Art. XII des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes vom 11. 8. 1961 (BGBl. I S. 1193),
  • Art. 2 Nr. 28 des Unfallverhütungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. 4. 1963 (BGBl. I S. 241),
  • § 55 des Gesetzes über das Zivilschutzkorps vom 12. 8. 1965 (BGBl. I S. 782),
  • die Gesetze zur Änderung und Ergänzung des Bundessozialhilfegesetzes vom 31. 8. 1965 (BGBl. I S. 1027) und vom 21. 12. 1967 (BGBl. I S. 1259)
  • das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz vom 24. 5. 1968 (BGBl. I S. 503/519),
  • das Zweite Änderungsgesetz vom 14. 8. 1969 (BGBl. I S. 1153) mit Neubekanntmachung,
  • das Dritte Änderungsgesetz vom 25. 3. 1974 (BGBl. I S. 777),
  • Art. II § 2 des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts vom 24. 4. 1974 (BGBl. I S. 981),
  • § 35 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. 8. 1974 (BGBl. I S. 1881),
  • § 3 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum 5. Strafrechtsreformgesetz vom 28. 8. 1975 (BGBl. I S. 2289),
  • Art. 24 des 1. Haushaltsstrukturgesetzes vom 18. 12. 1975 (BGBl. I S. 3091),
  • Art. 4 § 21 des Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften vom 20. 8. 1975 (BGBl. I S. 2189),
  • Art. II § 14 SGB I vom 11. 12. 1975 (BGBl. I S. 3015),
  • Art. II § 27 SGB X vom 18. 8. 1980 (BGBl. I S. 1469, ber. 2218),
  • Art. 21 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes vom 22. 12. 1981 (BGBl. I S. 1523),
  • Art. II § 14 des Ergänzungsgesetzes zum SGB X vom 4. 11. 1982 (BGBl. I S. 1450),
  • Art. 12 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. 12. 1982 (BGBl. I S. 1857),
  • Art. 25 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. 12. 1983 (BGBl. I S. 1532),
  • das Vierte Änderungsgesetz vom 21. 6. 1985 (BGBl. I S. 1081),
  • das Fünfte Änderungsgesetz vom 28. 10. 1986 (BGBl. I S. 1657),
  • Art. 26 des Zweiten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 16. 12. 1986 (BGBl. I S. 2441),
  • Art. 51 des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. 12. 1989 (BGBl. I S. 2261, ber. BGBl. I [1990], S. 1337),
  • Art. 42 des Gesetzes vom 20. 12. 1988 (BGBl. I S. 2477),
  • Art. 4 des Gesetzes vom 26. 6. 1990 (BGBl. I S. 1163) und
  • Art. 24 des Gesetzes vom 28. 6. 1990 (BGBl. I S. 1221),
  • Art. 7 des Gesetzes vom 9. 7. 1990 (BGBl. I S. 1354),
  • Kapitel X Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 3 des Einigungsvertrages vom 31. 8. 1990 (BGBl. II Nr. 35 S. 889),
  • Art. 7 § 12 des Betreuungsgesetzes vom 12. 9. 1990 (BGBl. I S. 2002),
  • Art. 1 des Gesetzes vom 10. 12. 1990 (BGBl. I S. 2644),
  • Art. 26 des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25. 7.1991 (BGBl. I S. 1606),
  • Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes und anderer Gesetze vom 7. 7. 1992 (BGBl. I S. 1225),
  • Art. 8 des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom 27. 7. 1992 (BGBl. I S. 1398),
  • Art. 4 Abs. 3 des Gesetzes vom 16. 2. 1993 (BGBl. I S. 239),
  • Art. 7 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms – FKPG vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944),
  • Art. 2 des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom 30. Juni 1993 (BGBl. I S. 1074), - Art. 1 des Gesetzes vom 21. 12. 1993 (BGBl. I S. 2374),
  • Art. 18 des Gesetzes vom 26. 5. 1994 (BGBl. I S. 1014),
  • Art. 32 des Gesetzes vom 29. 7. 1994 (BGBl. I S. 1890),
  • Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes vom 21. 8. 1995 (BGBl. I S. 1050),
  • Art. 4 des Gesetzes vom 14. 6. 1996 (BGBl. I S. 830),
  • Art. 3 des Gesetzes vom 17. 7. 1996 (BGBl. I S. 1006),
  • Art. 1 des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. 7. 1996 (BGBl. I S. 1088),
  • Art. 1 des Gesetzes vom 20. 12. 1996 (BGBl. I S. 2083),
  • Art. 20 des Gesetzes vom 24. 3. 1997 (BGBl. I S. 594),
  • Art. 11 des Gesetzes vom 16. 12. 1997 (BGBl. I S. 2970,
  • Art. 2 des Gesetzes vom 6. 8. 1998 (BGBl. I S. 2005),
  • Art. 9 des Gesetzes vom 24. 3. 1999 (BGBl. I 388),
  • Art. 1 des Siebten Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes vom 25. 6. 1999 (BGBl. I, S. 1442)
  • Art. 24 des SGB XI-Änderungsgesetzes vom 21. 7. 1999 (BGBl. I, S. 1656)
  • Art. 3 des Gesetzes zur Familienförderung vom 22. 9. 1999 (BGBl. I S. 2552)
  • Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des WohngeldG und anderer Gesetze vom 22. 12. 1999 (BGBl. I 2671)
  • Art. 12 Zweites ZuständigkeitslockerungsG vom 3. 5.2000 (BGBl. S. 632)
  • Art. 2 G zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe vom 20. 11.2000 (BGBl. I S. 1590)
    Art. 5 G zur Änderung des OpferentschädigungsG und anderer Gesetze vom 6. 12. 2000 (BGBl. IS. 1676)
  • Art. 13 Viertes Euro-EinführungsG vom 21. 12.2000 (BGBl. IS. 1983)
  • Art. 15 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) vom 19. 6. 2001 (BGBl. IS. 1046)
  • Art. 7 Abs. 5 Mietrechtsreformgesetz vom 19. 6. 2001 (BGBl. IS. 1149)
  • Art. 11 Altersvermögensgesetz vom 26. 6. 2001 (BGBl. IS. 1310)
  • Art. 3 Zweites G zur Familienförderung vom 16. 8. 2001 (BGBl. IS. 2074)
  • Art. 12 G zur Reform des Wohnungsbaurechts vom 13. 9. 2001 (BGBl. IS. 2376)
  • Art. 5 Pflegeleistungs-ErgänzungsG vom 14. 12.2001 (BGBl. IS. 3728)
  • Art. 1 BSHG-ÜbergangsregelungsG vom 27. 4. 2002 (BGBl. IS. 1462)
  • Art. 27 Behindertengleichstellungs-EinführungsG vom 27. 4. 2002 (BGBl. IS. 1467)
  • Art. 10 Nr. 2 ZuwanderungsG vom 20. 6. 2002, (BGBl. IS. 1946)
  • Art. 10 Abs. 2 Zweites Schadensersatzrechts-ÄnderungsG vom 19. 7. 2002 (BGBl. IS. 2674)
  • Art. 7 Zweites Dienstleistungs-ModernisierungsG vom 23. 12.2002 (BGBl. IS. 4621)
  • Art. 28 GKV-ModernisierungsG vom 14. 11.2003 (BGBl. IS. 2190)
  • Art. 51 Achte ZuständigkeitsanpassungsVO vom 25. 11.2003 (BGBl. IS. 2304)
  • Art. 25 Drittes G für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. 12.2003 (BGBl. IS. 2848)
  • Art. 68 G zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27. 12.2003 (BGBl. IS. 3022)
  • Art. 27 Nr. 1 VerwaltungsvereinfachungsG vom 21. 3. 2005 (BGBl. I S. 818)
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